Carola Neher – Der Star der Weimarer Republik

Sonderausstellung im Deutschen Theatermuseum in München vom 15. November 2013 bis 23. Februar 2014

Fotos: alle vom Theatermuseum in München, copyright

Die Carola Neher Straße liegt in der Nähe der Siemensstadt in München Sendling. Die Einweihung der Straße fand im November 2013 statt. Wer war Carola Neher? Ein Schauspielstar der Weimarer Republik, ein Münchner Kind, das in Nymphenburg aufwuchs, eine Frau, die von sich sagte:

 

„Private Wirkungen von der Rampe herunter gibt es gar nicht. Eine Frau, die auf der Bühne schön wirkt, ist schon etwas. Sie kann sogar im Leben hässlich sein. Man nehme eine beliebig schöne Frau und lasse sie über die Bühne gehen. Sie wird über ihre eigenen Beine und Gedanken stolpern. Sie ist aus ihrem Element gekommen, ein Fisch auf dem Land. Aber wir Schauspielerinnen sind erst auf der Bühne in unserem Element – wir stolpern nur im Leben.“ (aus Carola Neher, Begleitbuch zur Sonderausstellung, Deutsches Theatermuseum). Der letzte Satz ist das gelungene Motto der Sonderausstellung über Carola Neher, auch mit Stimm- und Gesangsdokumenten der Künstlerin Carola Neher.

 

Geboren wurde Carola Neher am 03.11.1900 als älteste Tochter des Chorregenten und Musiklehrers Josef Neher und der Weinstubenwirtin Katharina Neher in München. Ihr Vater war zeitgemäß sehr streng, Carola rebellierte gegen das Diktat des Vaters. Ihr wurde vom Vater strikt verboten, Schauspielerin zu werden, sie musste eine Banklehre absolvieren, nahm heimlich Gesangs- und Schauspielunterricht von ihrem Gehalt bei der Dresdner Bank. Ihr Vater bildete sie als Pianistin aus. Carola Neher hatte zudem einen Sprachfehler, sie lispelte. Diesen trainierte sie sich eisern ab, um ihren Traum zu verwirklichen.

 

Carola war auch ein lebendes Beispiel für die emanzipatorische Bewegung der Zeit, sie lebte ihre Energie in den benachbarten Sportanlagen des TSV Neuhausen-Nymphenburg aus, ein Bild im Boxring in der Ausstellung steht für diesen Freiheitswillen von Carola Neher. Auch widerstrebte ihr als ältester Tochter, ständig zur Hausarbeit verdonnert zu werden. Es sollte schon vorkommen, dass sie im Widerstand gegen ihren Vater das Geschirr unabgewaschen in den Schrank stellte, um dem häuslichen Zwang zu entfliehen und damit der typischen ihr zugedachten Hausfrauenrolle.

 

Sie war, was heute noch wenige wissen, einer der größten Schauspielstars der Weimarer Zeit und geriet dennoch in Vergessenheit, aufgrund der Nationalsozialisten, die sie ächteten, verfolgten, ausbürgerten und ihr die Staatsbürgerschaft aberkannten. Damit teilte sie das Schicksal vieler Künstlerinnen und Künstler dieser Zeit, die verfolgt und auch ermordet wurden. Carola wurde allerdings in Russland unter Stalin denunziert und interniert. Sie starb in russischer Haft 1942 an Typhus.

 

Die jetzige Kultur in Deutschland beginnt die Zeit dieser Verfolgungen aufzuarbeiten, dies zeigt auch die Sonderausstellung im Deutschen Theatermuseum. Eine Ausstellung in Russland scheiterte an bürokratischen Hürden. Die Kuratoren haben sich an ein wichtiges Feld gewagt und beleuchten diese Zeit mit den musealen Mitteln und dies äußerst erfolgreich und alle Sinne ansprechend. Auch Schicksale wie die von Heinrich George wurden in der jetzigen Zeit neu beleuchtet, durch die Nachfahren wie Götz George oder Ödon von Horvath und Zuckmayer, die beide aus Deutschland flüchteten. Auch Georg Becker, der Sohn von Carola Neher und Micha Neher sind als lebende Nachfahren entscheidend an der Ausstellung beteiligt.

 

Was waren die Stationen des Lebens von Carola Neher? Wie lebte sie als Künstlerin? Das zeigt das Deutsche Theatermuseum in München in der Sonderausstellung vom 15. November 2013 bis 23. Februar 2014.

 

Carola Neher wollte unbedingt ein Star werden und setzte sich mit der ganzen Kraft einer zierlichen Person und viel Glück dafür ein: Ihr erstes Engagement erhielt sie in Baden-Baden und dann im Jahr 1922 an den Münchner Kammerspielen. Hier traf sie Bertold Brecht, dessen „Harem“ an Frauenliebschaften Carola aber nicht angehören wollte. Berthold Brecht war von ihrer sachlichen und unsentimentalen Art gleich fasziniert. Später schrieb er ihr verschiedene Rollen auf den Leib. In ihrer Münchner Zeit traf sie auch ihre große Liebe, den Dichter Klabund (Alfred Henschke). Er schrieb für sie ebenfalls verschiedene Gedichte und Theaterstücke wie die „Silberfüchsin“ im Jahr 1925. Diese Fortsetzungsgeschichte wurde in einem Sportjournal publiziert. In dieser Erzählung schilderte aus Sicht von Carola ihre Kindheit und Jugend.

 

Dabei war das Ganze fiktional angelegt, eine Art „Dokusoap“ wie man heute das neue Genre bezeichnet: „Ich bin genauso zum Theater gekommen, wie es in den Zehnpfennigromanen „Vom Köhlerkind zur Brettldiva“ zu lesen steht. Mir war schon in Wiesbaden ein kleines Engagement versprochen. Und da meine Mutter nichts davon wissen wollte, bin ich eines Morgens von ihrer Seite einfach davongelaufen. Nicht heimlich und bei Nacht, sondern am helllichten Tag, meine Mutter auf der Nymphenburger Straße immer hinter mir her. Ich lief die Straßenbahnlinie entlang. Da kam eine Straßenbahn. Ich sprang auf – und meine Mutter blieb verzweifelt winkend zurück.“ (Aus Klabund, die Silberfüchsin, 1925)

 

Tatsächlich erhielt sie in München durch die Vermittlung von Julius Gellner, der inzwischen zum Spielleiter an den Kammerspielen avanciert war, Stückverträge für 1922/ 1923. Frauen dieser Zeit waren oft dazu verdammt, in Hosenrollen aufzutreten wie in Wedekinds „Büchse der Pandora“. Sie entschloss sich. „ Ich mache Karriere, ich werde die Neher.“

 

Privat war sie ab 1925 mit dem berühmten Dichter der Weimarer Zeit Klabund inzwischen verheiratet. Er folgte ihr in das für seine TBC Erkrankung ungünstige Breslau nach Schlesien. Im Lobe-Theater in Breslau spielte sie Hauptrollen wie die Johanna in Shaws „Heiliger Johanna“, die Cleopatra in Shaws „Caesar und Kleopatra“ sowie die Haitang in Klabunds „Kreidekreis“. Klabund hatte mit diesem Stück erstmals einen wirtschaftlichen Erfolg. Beide erlitten auf diesem Höhepunkt gleichzeitig einen gesundheitlichen Rückschlag. Klabund erlitt einen Blutsturz aufgrund der TBC, Carola Neher hatte eine Blutvergiftung durch eine verschleppte Blinddarmentzündung, musste operiert werden. Beiden blieben nach ihrer Blitzheirat im Krankenhaus nur noch wenige gemeinsame Jahre.

 

Die späten zwanziger und frühen dreißiger Jahre waren die erfolgreichsten Jahre für Carola Neher als Künstlerin an den Theatern in Nürnberg, Breslau, Frankfurt, Wien und endlich in der kulturellen Metropole der Zeit in Deutschland, in Berlin. Ihre wohl bekannteste Rolle ist die Polly in Brechts „Dreigroschenoper“ und die Marianne in Horvaths „Geschichten aus dem Wienerwald“. Damit schrieb sie Theatergeschichte. Auch in Rollen wie der Lilian Holyday in Brechts „Happy End“ und als Johanna in Brechts „Die heilige Johanna der Schlachthöfe“ feierte Carola Neher große Erfolge. Sie sorgte eifrig für Publicity, heute würde man sagen, sie vermarktete sich selbst erfolgreich. Sie trat überall da auf, wo die Presse anwesend war. Sie posierte für Modefotos, kletterte auf den Berliner Funkturm, fuhr ganz emanzipiert Motorradrennen. Carola Neher war damit eine Vorreiterin ihrer Zeit.

 

Der Künstlerin verkehrte zu Anfang in den etablierten Kreisen der reichen Berliner Gesellschaft der Weimarer Zeit. Die attraktive Schauspielerin war gern gesehner Gast im Haus des Außenministers Stresemann. Kronprinz Wilhelm lud sie zum Galadinner in das Schloss Cecilienhof ein. Carola Neher hatte es geschafft! Sie war ein Star am Theaterhimmel und in der Berliner Gesellschaft, sogar bis in adlige und etablierte Kreise der Weimarer Republik.

 

Der Name Carola Neher wird heute hauptsächlich mit dem Film der „Dreigroschenoper“ verbunden. Die Nero-Film A.G. und Warner Brothers inszenierten dabei Carola prominent und signifikant vor der Kamera. Dieser Film ist in der Ausstellung ebenfalls zu sehen. Am 19. Februar 1931 fand die Uraufführung des Films in Berlin statt. Schon damals protestierten die Nationalsozialisten und deutsch-nationale Kreise gegen diesen Film, verboten ihn am 16. Februar 1934 in Deutschland.

 

Nach dem Tod von Klabund in Davos 1928 wurden die Kontakte mit Bert Brecht enger, sie änderte ihren Lebensstil, lernte Russisch an der Marxistischen Arbeiterschule in Berlin, sympathisierte mit der Idee des Kommunismus. Ihr neuer Lebenspartner Hermann Scherchen inspirierte sie eigentlich, mit dem russischen Sozialismus zu sympathisieren, agitierte sie. Hermann Scherchen war Dirigent in Berlin, er schuf die deutsche Version der Arbeiterhymne „Brüder, zur Sonne, zur Freiheit…“ Er sollte bis 1966 leben, Carola war da schon längst in Gefangenschaft gestorben.

 

Carola war mit dem Dirigenten Scherchen von 1930 – 1932 liiert, bevor sie in ihn für den rumänischen Studenten Anatol Becker verließ. Sie kehrte nie wieder zu Hermann Scherchen zurück. Anatol Becker war ihr Russischlehrer und ein kämpferischer Kommunist. Carola Neher emigrierte mit ihm nach der Machtergreifung der Nazis nach Moskau, heiratet Anatol Becker und brachte ihren Sohn Georg zur Welt.

 

Die Nazis denunzierten die ursprünglich unpolitische Schauspielerin Carola Neher im Zuge der Attacken auf die „linke Theaterwelt“. Ihr Bruder Joseph Neher wurde nach seiner Konzerttournee in Russland am 25. März 1933 im KZ Dachau interniert.

 

In ihrem Idealismus verkannte sie die Fratze der stalinistischen Verfolgung, ihr Mann Anatol Becker wurde am 12. Mai 1936 verhaftet, gefoltert und erschossen. Sie selbst wurde denunziert und ebenfalls verhaftet, im Lager interniert. Die Russen wollten Carola Neher loswerden, die Nazis hatten ihr bereits die Deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt. Die Deutsche Botschaft lehnte ihre Rückkehr aufgrund „fehlender deutscher Reichsangehörigkeit“ ab. So geriet Carola Neher zwischen die Fronten. Ihre künstlerische Karriere war bereits beendet. Mühsam schlug sich die Schauspielerin davor durchs Leben. Carola wurde in russischer Gefangenschaft schikaniert, sie erhielt Briefwechselverbot, Buchleseverbot, Hofgangverbot. Sie litt unter den furchtbaren Haftbedingungen. In Deutschland wäre sie wohl bei möglicher Ausreise ins KZ deportiert worden und ebenfalls ermordet worden.

 

Ihr Sohn Georg Becker wurde zur Adoption freigegeben, lebte in Russland, wuchs dort auf und begab sich eines Tages auf die Suche nach seinen Wurzeln. „Als meine Eltern 1936 in Moskau verhaftet wurden und in Moskau ins Gefängnis kamen, war ich 1 ½ Jahre alt. Erst 30 Jahre später erfuhr ich den Namen meiner Eltern. Dazwischen lagen 15 Jahre sowjetischer Waisenheime, Misshandlungen durch sadistische Adoptiveltern, vorbelastet durch meinen deutsch klingenden Namen – Becker – eine zusätzliche Bürde in den Kriegs- und Nachkriegsjahren, vergiftet durch eine Atmosphäre des allgemeinen Hasses gegen die Deutschen.“ (aus dem Katalog zur Ausstellung)

 

Seine wahre Herkunft erfuhr Georg Becker durch die Archive des KGBs. Seine Eltern wurden später rehabilitiert „wegen Nichtbestehens einer Straftat“. Geblieben ist Anatol Becker ein Brief seiner Mutter aus dem Gefängnis, in dem sie sich nach dem Befinden ihres sechsjährigen Sohnes Georg erkundigt und die Dokumente der Zeit. Der Sowjetstaat hatte die Namen der Eltern eingeschwärzt. Dieses Schicksal ereilte viele Kinder der so genannten Volksfeinde in der Sowjetunion. Am 15. August 1968 erhielt der Sohn von Carola Becker die Todesurkunde seiner Mutter Carola Neher Becker, datiert mit dem 26. Juni 1942.

 

Carola Neher hat durch ihre Nachfahren wie ihren Sohn Georg Becker und die Sonderausstellung im Deutschen Theatermuseum in München die Ehre erhalten, die ihr gebührt. Die Straßeneinweihung im Gedenken an Carola Neher war längst fällig und ist ein Zeichen, dass München endlich seiner Künstler gedenkt, die Opfer des Nationalsozialismus und auch des Stalinismus wurden. Es wird Zeit, die Geschichte der Künstler, „die im Leben gestolpert sind“, endlich ans Licht zu bringen, zirka 70 Jahre nach dem zweiten Weltkrieg! Eine Ausstellung, die man gesehen haben sollte, um die Zeit und Kultur zu verstehen.

 

Beate Obermann im November 2013

Matthias Mühling, Direktor des Lenbachhauses bei der Eröffnung der William Turner Ausstellung 2023, Foto: Beate Obermann copyright
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